Düsteres Verlangen - Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein by Kenneth Oppel

Düsteres Verlangen - Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein by Kenneth Oppel

Autor:Kenneth Oppel
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783407743510
Herausgeber: Beltz & Gelberg
veröffentlicht: 2012-06-25T22:00:00+00:00


10. Kapitel

In die Tiefe

»Jemand sollte bei den Pferden bleiben«, sagte Konrad.

Trotz Temerlins sorgfältig gezeichneter Karte hatten wir eine gute halbe Stunde gebraucht, um den Höhleneingang in den Vorbergen zu finden. Es war eine etwa mannshohe Spalte im Fels, die teilweise von Büschen verdeckt war. Wir vier stiegen ab und holten unsere Ausrüstung aus den Satteltaschen.

»Die Pferde können sich selbst überlassen bleiben«, meinte Elizabeth. »Wir legen ihnen leichte Beinfesseln an, dann können sie weiden. Gleich da drüben hab ich einen Bach gesehen, wo sie saufen können.«

»Ich denke, du solltest bei den Pferden bleiben«, sagte Konrad.

Ich wusste, was jetzt kommen würde, und lächelte in mich hinein.

»Das mache ich ganz bestimmt nicht!«, antwortete Elizabeth entrüstet. »Victor weiß, wozu ich fähig bin.«

»Dafür kann ich mich wirklich verbürgen«, meinte ich.

»Ich hab nicht gesagt, dass du nicht …«, fing Konrad an.

»Dann beleidige mich bitte nicht mit dem Vorschlag, ich sollte nicht mitkommen. Du kannst ja bei den Pferden bleiben, wenn du magst.«

»Ich bleibe bei ihnen«, sagte Henry und betrachtete den Höhleneingang mit offensichtlichem Entsetzen. »Da ist die Sache mit meiner Klaustrophobie.«

Ich schaute Henry an. »Ich hab gar nicht gewusst, dass du auch an dieser Krankheit leidest.«

»Oh ja«, sagte er. »Und sogar ziemlich schlimm. Zusammen mit meiner Höhenangst und dem Übermaß an Fantasie entsteht so ein regelrechter Wirbelsturm der Angst.«

»Sehr hübsch formuliert«, bemerkte Elizabeth und packte ihren Rucksack weiter.

»Danke«, antwortete Henry. »Ihr wollt doch sicherlich, dass jemand hier draußen ist, falls ihr euch verirrt und Rettung braucht. Ich hab mir ein paar Bücher mitgebracht.«

»Eine ausgezeichnete Idee«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter. »Und schreib beim Warten ein paar Gedichte.«

»In der Tat«, sagte er und blickte auf seine Taschenuhr. »Jetzt ist es neun Uhr morgens. Wenn wir bei Sonnenuntergang zurück im Schloss sein wollen, müsst ihr spätestens um sechs Uhr wieder rauskommen.«

»Neun Stunden Zeit«, erwiderte ich. »Mehr als genug für einen kleinen Bummel und ein bisschen Angeln. Was meinst du, Konrad?«

»Sei nicht überrascht, wenn wir vor dem Mittagessen schon wieder da sind, Henry«, sagte Konrad und setzte den Rucksack auf.

»Seid vorsichtig«, mahnte uns Henry, während ich meinen Degen umschnallte. Allein das Bewusstsein, einen Degen an der Seite zu tragen, gab mir das Gefühl, geschützt und unbesiegbar zu sein.

»Konrad, hast du deine Uhr?«, fragte Henry.

»Natürlich.« Er nickte mir zu. »Wir beide haben eine.«

Wir traten durch die Öffnung im Fels und mit diesem einen Schritt verflog der Sommer. Die Steine gaben eine uralte Kälte ab, und wir hatten gut daran getan, uns warm anzuziehen. Die Höhle war groß und Menschen durchaus bekannt. In der Nähe des Eingangs erkannten wir Spuren von Lagerfeuern, Bilder und Namen waren in die steinernen Wände gekratzt. Es roch leicht nach Urin und tierischem Kot.

»Ist dein Rucksack zu schwer?«, fragte Konrad Elizabeth.

»Ich schaff das schon«, antwortete sie.

Meiner war auf jeden Fall schwerer, als mir lieb war. Draußen, als wir unsere Ausrüstung verteilt hatten, hatten Konrad und ich darauf geachtet, dass unsere beiden Rucksäcke mehr Gewicht hatten als ihrer.

Elizabeth setzte ihren Rucksack ab und zog ihren Rock nach unten über die Stiefel. Unter dem Rock trug sie eine Hose.



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